Wie machen die das bloß?

Gießen (hsch). Auf zuweilen verschlungenen Wegen näherten sich zahlreiche Besucher am Dienstag im Kunstgespräch des Uniklinikums (UKGM) den Arbeiten des Fotografen Karsten Thormaehlen. Der zeigt dort mit »Young at heart« eine Fotoserie mit meist quietschfidel dreinschauenden Menschen - die mehr als hundert Jahre alt sind.
Kuratorin und Kunstbeauftragte Dr. Susanne Ließegang leitete die Runde, Thormaehlen war ebenfalls dabei. Ausgehend von einer Anzahl von Porträts aus der Renaissance (»Auszugsweise und pointierte Positionen«), darunter Giorgiones Frauenporträt »Col tempo«, Dürers Bild seiner Mutter und weiteren unterschiedlichen Menschen, entfaltete sich eine Diskussion. Im Gegensatz zu den detaillierten großformatigen Bildern Thormaehlens, in denen fast alle Modelle freundlich bis fröhlich dreinblicken, waren hier ein paar sehr ernste Mienen zu sehen. Auch waren die Positionen der Figuren durchaus unterschiedlich, während Thormaehlen alle gleich vor der Kamera platzierte.
Zudem waren die porträtierten Renaissance-Menschen zwar ebenfalls älter, zugleich haben sie ein deutlich kürzeres Leben gelebt. So kam Ließegang zu der Frage, »wie die Gesellschaft mit dem Alter umgeht?«, wobei sie zugleich die Genforschung heranzog, laut der zumindest einige Hinweise existieren, dass man gewisse Altersmechanismen in Zukunft ausschalten können werde.
Und schon war man bei den »Rezepten«: Wie haben es die Hundertjährigen geschafft, so alt zu werden - und offenbar gesund und munter zu bleiben? Medial ist immer wieder einmal von Ratschlägen der Greise zu lesen, vom Glas Rotwein über ein rohes Ei, eine Zigarette, die frühe Trennung von dem Ehemann und noch mancherlei mehr. Der Fotograf hatte seinen Modellen diese Frage allerdings nicht gestellt.
Thormaehlen fand es faszinierend, »dass es so viele zufriedene alte Menschen gibt«, deren Zahl sich inzwischen auch weltweit enorm erhöht habe. Hauptsächlich hätten wohl Lebensweise und Umwelt sich positiv ausgewirkt, zumal diese Personen meistens in ländlich geprägten Gesellschaften mit intakten Familienstukturen lebten. Es dürfte also eine Rolle spielen, wenn man in einem Umfeld wohnt, in dem es sich zu leben lohnt, so banal das auch klingen mag.
Die in stundenlangen Sitzungen entstandenen gemalten Porträts beruhen auf wesentlich anderen Grundlagen. »Der Blickkontakt zum Modell ist ganz entscheidend,« sagte Thormaehlen, »und dass ich ihnen auf Augenhöhe begegne.« Unter den von ihm besuchten Hundertjährigen »herrschte Lebensfreude, Demente waren auch nicht dabei«, berichtete er. »Sie wohnen alle noch in ihren eigenen vier Wänden.« Eine alte Dame wollte allerdings kein Foto von sich machen. Auch der 108 Jahre alt gewordene und 2011 gestorbene Johannes Heesters hatte keine Lust.
Als stilistischen Kontrast zu den Bildern von Rembrandt, Tizian, Dürer und Thormaehlen zeigte Susanne Ließegang einige Fotoporträts von Stefan Moses, der vom Leben schwer geprüfte Menschen für Zeitungen porträtiert hatte. Diese Arbeiten entstanden noch zu Zeiten der analogen Fotografie auf Film. Auch hier fanden sich die »Gesichtslandschaften«, die eine Besucherin völlig zutreffend in Thormaehlens Fotos gesehen hatte. An erzählerischer und emotionaler Wucht mangelt es auch diesen Fotos keineswegs.
Die Fotografien sind bis zum 23. Mai im Kapellengang des UKGM zu sehen.