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»Will Leute ins Gespräch bringen«

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Mit ihren Baumhäusern in luftigen Höhen versuchten die Aktivisten, die Rodung des Dannenröder Forstes zu verhindern. Die Kinodoku »Die Autobahn - Kampf um die A49« erzählt davon in eindrucksvollen Bildern. Foto: Klaus Stern © Klaus Stern

»Kampf um die A49«: Der Filmemacher Klaus Stern präsentierte seine gelungene Autobahn-Doku im Traumstern und stellte sich anschließend der Kritik.

Lich. Dieser Film ist geduldig, präzise, ausgewogen - und damit sehr gelungen. Nichts zeigt das besser als die vielen unterschiedlichen Einwände des Publikums, mit denen der Regisseur und Produzent Klaus Stern nach der Kinovorstellung am Montagabend konfrontiert wurde. Im Licher Traumstern war der Nordhesse zu Gast, um sein neues Werk vorzustellen: die knapp 90-minütige Dokumentation »Die Autobahn - Kampf um die A49«.

Es ist ein Thema, dass die Emotionen aller Beteiligten hochkochen lässt. Auf der einen Seite die jungen Aktivisten, die monatelang im Dannenröder Forst ausharrten, um für den Erhalt des Waldgebiets und gegen den Trassenbau zu kämpfen. Auf der anderen Seite die lärmgeplagten Anwohner der kleinen Dörfer nahe Stadtallendorf, die sich von der Autobahn mehr Ruhe vor der eigenen Haustür erhoffen. Hinzu kommen Polizisten und Politiker, ergraute Ökos, ein Pferdehofbesitzer, eine Pensionsbetreiberin, ein Waldeigentümer - die den Konflikt aus unterschiedlichen Blickwinkeln, mit unterschiedlichen Weltanschauungen betrachten und bewerten.

Unterschiedliche Perspektiven

Der in einem Schwalmstädter Ortsteil aufgewachsene Klaus Stern war zusammen mit seinen Kameramännern vor Ort, nachdem der Dannenröder Forst quasi in einer Nacht- und Nebelaktion im Herbst 2019 von jungen Aktivisten besetzt worden war. In spektakulären Bildern beschreibt er in seiner Doku ihren Alltag in den selbstgezimmerten Baumhäusern in schwindelerregender Höhe, zeigt ihre Ausdauer, ihren Mut und Idealismus, mit dem sie versuchen, die Pläne der Verkehrspolitiker zu verhindern. Und er selbst bekannte anschließend in Licher Filmgespräch: »Ich bin gegen diesen Autobahnbau«.

Doch der für seine Arbeit der vergangenen 20 Jahre mit vielen Preisen ausgezeichnete Filmemacher betont ebenso: »Agitprop ist nicht mein Stil.« Er verzichtet im Film auf wertende Kommentare aus dem Off (»Das ist langweilig«) und lässt lieber die Beteiligten aller Seiten sprechen. Hinzu kommt ein Blick in die Archive, um die komplette A49-Geschichte nachzuzeichnen. Zu sehen sind etwa alte Nachrichtenausschnitte, in denen Verkehrspolitiker der 1960er und 70er Jahre noch vom ewigen, in Asphalt und Beton gegossenen Wachstum träumten. Doch Stern fand ebenso Bilder von umweltbewegten Demonstranten, die bereits in den späten 70ern ihren Widerstand in zahlreichen Aktionen öffentlich machten.

Dann schlief der Konflikt irgendwann ein. Und ein in die Region zugezogener Städter aus Marburg erfüllte sich seinen Traum vom eigenen Pferdehof, weil er beim Kauf des idyllisch gelegenen Grundstücks nahe der geplanten A49-Verlängerung hoffte, dass mindestens noch weitere 50 Jahre bis zu deren Umsetzung ins Land gehen würden.

Wie viele andere hat er sich getäuscht. Denn plötzlich rollten die Bagger an. Und nun war es eine neue Generation, die für den Erhalt des Waldes kämpfte. Allerdings auch mit manch hochgefährlichen Methoden. Im Film zu sehen ist etwa, wie lange Nägel in die Baumrinde getrieben wurden, um die Schneidblätter der Motorsägen zu beschädigen. Die Grünen-Landesgeschäftsstelle in Wiesbaden wurde von Unbekannten mit Drohparolen beschmiert, ein adliger Waldbesitzer fand gar einen Brandsatz in seiner Garage. Nicht alle Baumbesetzer setzen also ausschließlich auf den friedlichen Protest.

Als roter Erzählfaden dient dem Filmemacher dabei die Zeit von November 2020 bis Anfang März 2021. Wegen der Vegetation hätte zu diesem Zeitpunkt die Rodung des Waldstücks unterbrochen werden müssen. Schafft es die Polizei also, den Widerstand zu brechen und die Baumbesetzer innerhalb weniger Winterwochen aus ihren Baumhäusern zu holen? Das konnte der Filmemacher selbst nicht absehen, als er im Wald drehte. Doch am Ende zeigt sich, dass es ein ungleicher Kampf war, den die Staatsmacht mit allen Mitteln für sich entscheiden wollte - während am Ende der Doku die Baumhäuser fallen und sich die erschöpften und deprimierten Aktivisten die Tränen aus den Augen wischen.

Im Gespräch nach dem Film zeigte sich dennoch, dass viele ein eindeutigeres Bekenntnis des Regisseurs vermissten. Warum war der bürgerliche Widerstand nicht im Film zu sehen? Was ist mit der Gewalt der Polizei? Warum wurden nur so wenige der Waldbesetzer porträtiert? So lauteten Fragen von Zuschauern, die es mit den Aktivisten hielten. Während andererseits eine Frau kritisierte, dass nicht ausreichend Befürworter der Autobahn zu Wort gekommen seien. Sterns Antwort auf all diese Kritik: »Ich will die Leute ins Gespräch bringen und setze auf den intelligenten Zuschauer.« Wie sich in der Traumstern-Runde zeigte, ist ihm das eindeutig gelungen.

Weitere Infos und die nächsten Kinotermine im Internet: www.die-autobahn-derfilm.de.

»A49 - Der Staat als Beschützer und Zerstörer« lautet der Titel einer Kleinkunstmatinee am morgigen Donnerstag ab 11 Uhr in der Galerie Dazwischen (Gießener Straße 5). Das Programm bestreiten die Band Unerhört, Wolfgang Seim mit »Geschichten aus dem bürgerlichen Widerstand«, eine Lesung aus dem Danni-Buch von und mit Christa Seim sowie Szenen aus dem Widerstand mit dem HinterHofTheater H2T. (red)

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Regisseur Klaus Stern stellte sich dem Publikum in Lich. Foto: Gauges © Gauges

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