Willkommen zurück, digitale Welt!

Sieben Wochen Internetfasten sind durchgehalten und vorbei. Die ersten Stunden mit dem zurückgewonnenen Smartphone überfordern danach - und im Posteingang ist ganz schön was angefallen.
Gießen. Am Ostersonntag, sehr früh am Morgen, zieht mein Sohn die Sockenschublade im Schlafzimmer auf. »Hier Mama, Dein Handy!«, sagt er - und strahlt dabei über das ganze Gesicht. Anders als ich, denn ich bin noch nicht richtig wach. Der Sechsjährige hat also irgendwann in den vergangenen knapp sieben Wochen mein Smartphone gefunden. Vielleicht hat ihm sein Vater auch das Versteck verraten. Das mit Stolz präsentierte Gerät lege ich nun tatsächlich erst einmal zur Seite. Ausgeschaltet natürlich. Von sieben Stunden täglicher Nutzungszeit auf null, das war das Ziel meines Selbstversuchs. Das Kind, das die Rückkehr ins digitale Zeitalter mindestens genauso feiert, wie den Besuch des Osterhasen, ist irritiert. Ja, zu Beginn meiner Internet-Fastenzeit hätte ich mir auch nicht vorstellen können, das an Tag X endlich wiedererlangte Smartphone einfach noch ein bisschen länger zu ignorieren. Aber: Gerade die letzte Woche mit dem alten, nicht internetfähigen, Nokia von 1999 war irgendwie richtig schön. Den neongrünen Klopper jetzt wieder gegen einen schnelleren, schlaueren, schlankeren Zeitgenossen einzutauschen, fühlt sich ein wenig wie Verrat an. Wie dem auch sei: Da bin ich also wieder! Hallo, digitale Welt - im Posteingang ist ganz schön was angefallen.
Ruhe sanft, liebes Nokia 5110
Am Abend wage ich einen ersten Blick. Vorsorglich schließe ich das eingestaubte Smartphone mal ans Stromnetz an. Das Nokia hat mit einer einzigen Akkuladung übrigens rund fünf Tage durchgehalten. Außer Telefonaten und SMS-Kontakten war da allerdings auch nichts los. Am »Snake« spielen habe ich schnell das Interesse verloren, nachdem der diabolische Rekord von 666 Punkten fortan unerreichbar blieb. Und dank zerbrochener Plastikabdeckung verhedderte sich zuletzt die Antenne - optisch eindeutig eine Doppelgängerin der Kugelschreiber-Feder - beim Telefonieren ganz wunderbar in meinen Haaren oder ging alternativ eine Symbiose mit dem Inhalt meiner Handtasche ein. Auf dem Display ließ sich nach intensiver Nutzung kaum mehr etwas erkennen. Das Gute: Ich habe das Handy schließlich nur noch in die Hand genommen, wenn ich es wirklich brauchte. Ruhe sanft, liebes Nokia 5110.
Wohl dosiert versuche ich jedenfalls, mich meinem eigentlich sehr geliebten Smartphone wieder anzunähern. Schließlich haut man sich nach dem »gewöhnlichen« Fasten auch nicht sofort den Bauch mit Pommes und Burger voll. Langsamer Kostaufbau also. Ich stecke das Ladekabel ein, drücke den An-Schalter sehr lange - und verlasse erst mal den Raum. Das Empfangen der verpassten WhatsApp-Nachrichten, E-Mails, Facebook- und Instagram-Benachrichtigungen dauert aber gar nicht so lange, wie erwartet. Dazu ploppen gleich mal einige Push-Meldungen zum Weltgeschehen auf. Überforderung macht sich breit, für das erste Ma(h)l war die Portion vielleicht doch ein bisschen zu groß.
Zugegeben: Im Familien- und Freundeskreis habe ich meine geplante Internet-Abstinenz ausgiebig angekündigt und sicherheitshalber auch bei WhatsApp eine Notiz hinterlassen. Vielleicht liegt es an dieser Maßnahme, vielleicht auch daran, dass man sich in Sozialen Medien gerne wichtiger fühlt als man wirklich ist, jedenfalls ist die Zahl an ungelesenen Nachrichten weitaus geringer als angenommen. 97 Mal wurde ich während meiner Abwesenheit per WhatsApp angeschrieben, ein Großteil der Einsendungen stammt allerdings aus Gruppenchats. Spitzenreiter: Die Kita-Eltern-Gruppe. Es war eben nicht alles schlecht an der Fastenzeit. Dazu ein paar Nachrichten von Menschen, die sich zwar über ausbleibende Interaktion wunderten, aber nicht anriefen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Ein Kollege wollte außerdem testen, ob ich tatsächlich offline bin.
Seit dem Start meines Selbstversuchs am 2. März habe ich insgesamt 788 E-Mails erhalten, darunter überwiegend Newsletter, Werbung und Spam. Normalerweise hätte ich all das im Alltag einfach weggeswipt und damit gelöscht, ohne diese Größenordnung wahrzunehmen. Die »99+" Meldungen auf Facebook (offenbar kann das Soziale Netzwerk keine dreistellige Benachrichtigungsziffer anzeigen) habe ich bis heute nicht durchgearbeitet. Werde ich mangels Relevanz wohl auch nicht. Normalerweise hätte ich aber auch hier routiniert jede einzelne angeklickt.
187 SMS - das wäre teuer geworden
Auf meinem Smartphone herrscht noch Winter. Auf den letzten gespeicherten Fotos tragen wir dicke Jacken und Mützen. Das Bild auf dem Sperrbildschirm ist an Weihnachten aufgenommen worden. Jetzt, wo die Tür zum Sonnenbalkon weit offen steht und im Vorgarten alles blüht, wirkt das wie aus der Zeit gefallen. Und ein wenig fühle ich mich auch so - zumindest für die ersten Stunden. Bietet dieses Handy nicht viel zu viele Funktionen? Wie selbstverständlich geht der Griff zum klobigen Nokia. Doch da tut sich nichts mehr. Laut meiner Telefonrechnung habe ich damit in den vergangenen sieben Wochen 187 SMS geschrieben. Früher - ohne Flatrate - wäre das teuer geworden. Das Tippen der einzelnen Buchstaben klappte zum Schluss sogar wieder blind. Wahrscheinlich ist es mit dieser Fähigkeit wie mit dem Fahrradfahren. Man verlernt es nicht.
Ob ich das mehr als 20 Jahre alte Handy je wieder einschalten werde? Ich wüsste nicht, warum. Zu sehr habe ich dann doch manche Annehmlichkeiten vermisst: Mal eben ein Foto aufnehmen und verschicken, ein Video schauen, Lieblingsmusik streamen, Artikel jederzeit lesen, egal wann, egal wo. Im Gegenzug führt diese ständige Dauer-Verfügbarkeit zu Druck, den ich zuletzt merklich losgeworden bin. Sich dieser Erwartungshaltung komplett zu entziehen, ist wohl kaum möglich. Nach ein paar Tagen ist mein Smartphone also wieder ein treuer Begleiter. Ein Blick in die Digitale Balance zeigt eine tägliche Bildschirmzeit von durchschnittlich drei Stunden. Tendenz steigend.