»Wir müssen das aushalten«
Roger Waters, Anna Netrebko, Florian Silbereisen: Der Gießener Jurist und Experte Maximilian Roth über Konzerte, Politik und Parallelen zur Gießener Waffenmesse.
Gießen. Gleich dreimal sorgten in den vergangenen Tagen Musiker für Schlagzeilen, die nur mittelbar mit ihrer Kunst zu tun haben. In Frankfurt versucht der Magistrat gerade, das Konzert des umstrittenen Pink-Floyd-Mitgründers Roger Waters zu verhindern. In Wiesbaden ist ein Streit um den geplanten Auftritt der russischen Opernsängerin Anna Netrebko entbrannt, weil dort zugleich ukrainische Musiker eingeladen sind. Und gegen den Schlagersänger Florian Silbereisen gibt es eine Anzeige wegen Urheberrechtsverletzung, weil er in dem Lied »1000 und 1 Nacht (Zoom)« das Wort »Indianer« ersetzt hat. Drei musikalische Genres, drei unterschiedliche Fälle: Der Gießener Jurist Maximilian Roth, Fachmann in Sachen Kunstfreiheit, gibt eine Einschätzung und zieht eine Parallele zu einem Gießener Fall.
Herr Roth, beginnen wir mit Roger Waters. Gegen den Musiker gibt es seit Längerem den Vorwurf des Antisemitismus. Er engagiert sich in der antiisraelischen Boykottbewegung BDS und ließ auf Konzerten rosa Schweine aufsteigen, die mit einem Davidstern markiert waren. Nun fordern Frankfurter Politiker, den Auftritt zu verbieten. Welche Handhabe hat der Staat oder in diesem Fall die Stadt Frankfurt?
Für die Behörde geht es um die Frage, wie der Auftritt rechtlich einzuordnen ist. Handelt es sich allein um ein Musikkonzert oder ist es sogar eine Versammlung, wo auch die politische Meinungsbildung eine Rolle spielt? Bei einem reinen Musikkonzert könnten Einschränkungen im Vorfeld nur auf Basis des Polizei- und Ordnungsrechts erfolgen, wenn die Behörde zur Einschätzung gelangt, dass durch den Auftritt zum Beispiel ein Verstoß gegen ein Gesetz droht.
Das heißt, es geht darum, ob seine antisemitischen Äußerungen im Publikum geteilt werden?
Ein Verstoß kann durch den Musiker, aber auch durch das Publikum drohen. Dass das Publikum von Roger Waters antisemitische Hetze auf seinem Konzert betreibt, ist in dieser Pauschalität wohl nicht zu unterstellen. Die Leute gehen ja wegen der Musik auf das Konzert. Daher müsste geprüft werden, ob damit etwa gegen Rechte Dritter verstoßen kann. Dazu könnte sich die Behörde etwa vorherige Auftritte von Waters auf Video anschauen. Kommt sie dann zur Einschätzung, dass etwa durch antisemitische Hetze Volksverhetzung oder Beleidigung droht, sind behördliche Maßnahmen schon vor Konzertbeginn möglich. Dabei muss nicht bewiesen sein, dass sich Waters antiisraelisch auf der Bühne äußert, sondern es braucht nur eine sogenannte tragfähige Annahme.
Hier gibt es übrigens eine Parallele zur Waffenmesse in der Gießener Hessenhalle: Da hätte die Behörde für ein Verbot tragfähige Gründe haben müssen, dass es dort zu Gesetzesverstößen kommt. Oder ob man sie durch Auflagen hätte verhindern können.
Was für Roger Waters heißt: Keine verfassungswidrigen Symbole? Keine Schweine mit Davidstern in der Festhalle - einem Ort, von dem aus Juden im Nazi-Reich mit Güterzügen in die KZs transportiert wurden?
Richtig. Dann kommt als Adressat der behördlichen Anordnung auch der Veranstalter in Betracht, der sicherzustellen hat, dass solche Symbole nicht verwendet werden. Wenn es dennoch dazu kommt und die Polizei vor Ort ist, kann sie sofort eingreifen. Die Messlatte für solche Anhaltspunkte sind allerdings hoch; die Behörde braucht eine solide Prognosegrundlage. Das hat man in der Hessenhalle gesehen. Wenn der Fall dann kurz vor Veranstaltungsbeginn noch vor Gericht landet, weil der Musiker sich in seinen Grundrechten eingeschränkt fühlt und Recht bekomm, ist der Flurschaden für die Politik möglicherweise größer.
Mir scheint es schwierig, in diesem Frankfurter Fall eine eindeutige Antwort zu finden ...
Juristisch lässt sich auch keine Pauschallösung finden, denn es kommt immer auf den Einzelfall an. In diesem grundrechtssensiblen Bereich stellt sich vor allem rechtspolitisch die Frage: Muss der Staat wirklich eingreifen? Hält unsere Gesellschaft es tatsächlich nicht aus, dass er sich so - abseits seiner Konzerte - äußert? Meine Meinung ist: Die Bevölkerung sollte die Antwort geben.
Zumal viele Konzertgänger die Ansichten von Waters vermutlich nicht teilen. Anders als vielleicht bei einer Rechtsrock-Band?
Da stimme ich Ihnen zu. Bleiben wir bei der juristischen Gefahrenprognose, ob antisemitische Hetze droht: Wenn die Behörde in ihrer Prüfung Videomaterial sichtet und darauf nichts Entsprechendes zu erkennen ist, wird es schwierig. Dann kann die Behörde auch nicht im Vorfeld einschreiten.
Also: Man könnte Waters vorab eine Liste vorlegen, was er zu tun und vor allem zu lassen hat? Rosa Schweine mit Davidstern wären in der Festhalle fatal!
Bei pauschalen Listen bleibe ich skeptisch, aber: Wenn die Gefahr besteht, dass rosa Schweine mit Davidstern gezeigt werden und die Behörde zur Entscheidung kommt, dass das den Straftatbestand der Volksverhetzung oder Beleidigung erfüllt: ja. Je tragfähiger diese Prognosegrundlage ist, desto besser.
Bei der Waffenbörse hat das nicht funktioniert. Hier argumentierte die Stadt mit drohenden Verstößen gegen das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Der Veranstalter wurde dann in zwei Gerichtsinstanzen bestätigt. Es zeigte sich: Die Anhaltspunkte der Stadt waren nicht ausreichend, denn bereits mit der Möglichkeit, entsprechende Auflagen, die milder sind als ein Verbot, zu verhängen, wäre der Gefahr genüge getan.
Ist es eigentlich wichtig, welcher Politiker in welcher Funktion sich äußert?
Das ist juristisch ein hochspannendes Thema. Äußert sich ein Parteipolitiker oder ein Amtsträger? Ein Fraktionsvorsitzender oder ein Mitglied des Magistrats? Parteipolitiker können sich auf die Meinungsfreiheit berufen; Amtsträger sind der Neutralität und Sachlichkeit verpflichtet. Fraktionsvorsitzende können sich auf ihr freies Mandat berufen; Kommunen und ihre Organe sind aber dem Staatsaufbau nach eigentlich der Exekutive zuzuordnen. Noch kniffliger wird es, wenn sie der »Regierungsmehrheit« angehören. Zu diesen kommunalrechtlichen Fragen gibt es bisher kaum Gerichtsentscheidungen, juristisch ist also Vieles noch ungeklärt. Die Zuständigkeit liegt aber jedenfalls beim Ordnungsamt, das über eine Absage oder ein Verbot entscheidet - und nicht bei Politikern. Parteipolitisch mag es aber verständlich sein, sich zu äußern. Und viele Parteimitglieder, vielleicht auch Wähler, erwarten das vermutlich auch. Davon zu trennen ist aber die juristische Zulässigkeit.
Der nächste, anders gelagerte Fall: Eine Einladung Anna Netrebkos zu den Wiesbadener Maifestspielen. Hier geht es ja eher um eine Frage der Gesinnung als um eine der konkreten Äußerung. Ebenfalls eingeladene ukrainische Ensembles haben zudem angekündigt, nicht zusammen mit der Russin aufzutreten.
Zwar werden die Festspiele öffentlich finanziert. Aber durch die Entscheidung der Stadt Wiesbaden und des Landes Hessen als Geldgeber dem Intendanten der Festspiele eine gewisse freie Verfügung hinsichtlich der Auswahl der Künstler zu geben, schaffen sie zugleich einen Bedarf nach Kunst und damit der Entfaltung der grundrechtlich geschützten Kunstfreiheit. Um Netrebko auszuladen, bräuchte man etwa Anhaltspunkte, dass sie ihre Gesinnung in die Veranstaltung hineinträgt, dass sie als Abbild der Politik Russlands wahrgenommen wird. Aber gerade ist sie in der Frankfurter Alten Oper aufgetreten. Und man sah: sie tut es nicht. Sie allein wegen ihrer Nationalität auszuladen, geht aus Diskriminierungsgründen schon nicht.
Hessens Ministerpräsident lässt nun seine Schirmherrschaft ruhen ...
Darin sehe ich kein grundrechtliches Problem. Die Festspiele fallen deshalb ja nicht aus. Netrebko wird nicht ausgeladen, ihre Kunstfreiheit wird dadurch nicht eingeschränkt. Hier scheint also eher ein Fall von Cancel Culture vorzuliegen, wenn man eine Ausladung fordert. Dafür mag es politische Gründe geben; juristisch aber sehr heikel.
Dritter Fall: die Anzeige gegen Florian Silbereisen wegen Urheberrechtsverletzung.
Hier hat der Lied-Autor Dieter Dehm eine Strafanzeige gestellt. Es ermittelt Polizei und gegebenenfalls Staatsanwaltschaft. Aus grundrechtlicher Perspektive betrifft das Herrn Silbereisen erst einmal nicht. Strafrechtlich wäre zu prüfen, ob ein Verstoß gegen einen Paragraphen aus dem Kunsturhebergesetz vorliegt, konkret, ob Herr Silbereisen eine Umgestaltung des Werks ohne notwendiges Einverständnis von Herrn Dehm vorgenommen hat.
Dennoch passt auch dieser Fall zum aktuellen Phänomen. Es geht um Wokeness und Sprach-Zensur, so der Vorwurf.
Stimmt. Hier kommen politische Ansichten ins Spiel. Problematisch wird es erst, wenn der Staat vorschreiben würde, in diesem oder jenem Lied darf etwa das Wort »Indianer« nicht vorkommen und der Sänger will es weiterhin verwenden. In dieser Konstellation geht es aber primär im Bereich des Privaten um das Urheberrecht am Liedtext.
Aber da ist doch gerade etwas in Bewegung, weil Künstlerisches offensichtlich politisch wird. In einem Maß, das beunruhigend wirkt?
Immer wenn sich Politik in Belange der Kunstfreiheit einmischt, wird es heikel. Denn die Kunstfreiheit eröffnet ja gerade durch ihr Medium Diskurse. Und solange sich das auf Basis unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegt und keine Rechte anderer verletzt werden, können und müssen wir das aushalten. Sonst verengen wir den Diskurs auf ein Minimum und blenden aus, was uns nicht passt.
Jeder ist also selbst gefordert, sich in jedem einzelnen Fall ein Urteil zu bilden?
So ist es. Auf diese Weise kann die Gesellschaft den Diskurs besser steuern. Wenn Konzerte durch den Musiker oder Veranstalter selbst abgesagt werden, weil nicht mehr genug Publikum kommt, dann hat die Gesellschaft doch das richtige Zeichen gesetzt. Es wäre die bessere Antwort anstatt vorschneller politischer Zeichen, die auf juristisch sehr heiklem Boden stehen.
Maximilian Roth (27) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für öffentliches Recht und Rechtstheorie der Justus Liebig Universität Gießen. Zu seinen Themen zählen Kunstfreiheit sowie staatliche Äußerungsbefugnisse, die seiner Ansicht nach eine »immer größere Rolle spielen«. Denn dabei gelte es zu entscheiden: Inwieweit sind das grundrechtliche Eingriffe in die Betätigung Einzelner. (bj)