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Zehn Jahre warten auf eine Niere

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Von: Rüdiger Schäfer

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Die Gießener Lebenshilfe hat das Plakat zur Aktion gestaltet. Foto: Schäfer © Schäfer

Nach einem gelungenen Auftakt im vergangenen Jahr mit über 100 Teilnehmern wird eine Radtour für Organspenden in diesem Jahr zum zweiten Mal vom UKGM Gießen durchgeführt.

Gießen. Seine Nierenfunktion hat bei ihm im Alter von 44 Jahren ausgesetzt. Sechs lange Jahre stand er auf der Liste für eine Organspende - es gab kein Organangebot. Sechs lange Jahre, in denen er sich jede Nacht zuhause selbst an »sein Dialysegerät« anschließen musste und am nächsten Tag wieder in seinem gelernten Beruf als Krankenpfleger zu arbeiten. Eine sportliche Betätigung während der Zeit der Dialyse war nicht möglich. Die Rede ist von dem heute 60-jährigen Stephan Rau, der beim Pressegespräch bezüglich einer Organspendeaktion des Universitätsklinikums (UKGM) von seinem Schicksal berichtete.

Nach einem gelungenen Auftakt im vergangenen Jahr mit über 100 Teilnehmern, wird eine Radtour für Organspende in diesem Jahr zum zweiten Mal durchgeführt. Diesmal von Gießen nach Butzbach und zurück. Das Motto lautet entsprechend der Start- und Zielorte: »Gießen entscheidet sich« und »Butzbach entscheidet sich«. Dazu wird in beiden Städten mit Plakaten geworben. Das Anliegen der Initiatoren ist es, darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig es ist, dass jeder Mensch sich zu seiner Lebenszeit mit der Frage der Organspende beschäftigt und eine Entscheidung trifft: »Ja« oder »Nein« zur Organspende.

Ja oder Nein?

Dass diese Entscheidung auch für Angehörige hilfreich ist, erklärte Sabine Moos, die als Ärztin in der Inneren Medizin und Transplantationsbeauftragte des UKGM seit 2016 tätig ist. »Zwei Drittel von ihnen wissen nach dem Ableben eines Familienmitgliedes nicht, was der Verstorbene wollte. Eine Organspende oder keine.« Sie könne verstehen, wenn Angehörige sich sagten: »Wenn ich mich dagegen entscheide, mache ich am wenigsten falsch.« Durch die bestehende Unsicherheit sei im Laufe der Jahre die Ablehnungsrate deutlich gestiegen. »Dies ist die Hauptursache für ein Nein.« Mit dem Tod, vor allem seinem eigenen, beschäftige man sich nicht so gerne, so Moos. »Mit der Entscheidung tut man sich schwer.« So delegiere man diese an die Angehörigen, wenn sie zu Hinterbliebenen geworden sind.

Deshalb würden schon in Schulen Aktionen durchgeführt. »Schüler bringen danach Organspendeausweise für ihre Eltern mit nach Hause. Und so wird es zum Gesprächsthema in der Familie.« In diesem Jahr habe es am UKGM mit drei Fällen schon genauso viele wie im ganzen Jahr 2022 gegeben, bei denen es keinen Spendenausweis und keine Angehörige gegeben habe. Da bestehe null Chance auf die Möglichkeit einer Organspende. Ein gesetzlicher Betreuer dürfe eine Zustimmung zur Organentnahme nicht geben, da mit dem Tod die Betreuung endet.

Keinen großen Einfluss auf die Anzahl der Organentnahmen habe die Pandemie gehabt. Zwar bestünde keine einhundertprozentige Sicherheit, dass eine Transplantation erfolgreich verlaufe. »Doch es ist eine Chance, die es sonst nicht gibt.« Wer länger als ein, zwei Jahre auf eine Leber warten müsse, würde in der Regel nicht überleben. Auf eine Niere warte man in Deutschland länger als zehn Jahre.

Monika Kaiser ist Vorsitzende des Vereins »Selbsthilfe Niere Mittelhessen«, der 300 Nierenkranke und Angehörige betreut. »Ich selber habe vor 15 Jahre von meinem Mann eine Niere gespendet bekommen.« Ihr Ehemann habe keine Beeinträchtigung davongetragen. Eine Niere genügt also vollkommen zur körperinternen Blutwäsche, der Hauptaufgabe der Nieren.

Dies bestätigte auch Stephan Rau, der 2013 von seiner Frau eine Niere erhalten hat, und in verschiedenen Selbsthilfegruppen aktiv ist. Als Krankenpfleger kann er seit der Transplantation nicht mehr arbeiten, da sein Immunsystem durch Medikamente gedrosselt ist. Einen Bürojob innerhalb des UKGM hat er nun inne, ist im Bereich der Geschäftsführung als Projektmanager tätig. So auch bei der Organisation der Radtour-Aktion.

Patienten sterben

Angestellt als Disponent beim UKGM ist der 53-jährige Georg Nicolai. Wieso engagiert gerade er sich als Leiter der Radtour für diese Thematik? Seine Antwort: »Wenn man miterlebt, dass Patienten ohne Organspende hier bei uns sterben, motiviert das dazu, helfen zu wollen.«

Als Organspender kommen Tote nur dann in Frage, wenn ihr Hirn zwar tot, jedoch Herz und Lunge noch tätig sind. Umgekehrt ist es nicht möglich, weil dann die Organe nicht mehr durchblutet werden und absterben. Lebendspenden - mehr als die Hälfte der Organspenden - gibt es zumeist nur innerhalb der Familie. Am bekanntesten ist die Nierenspende. Die Blutgruppe muss heute nicht mehr übereinstimmen. Vorher erfasst werden nicht nur Gesundheit und Vorerkrankungen des potenziellen Spenders. Auch ein psychologisches Gutachten durch die Ärztekammer muss erstellt werden. Damit soll ausgeschlossen werden, dass ein Druck innerhalb der Familie auf dem Spender lastet und er nur deshalb zur Organspende bereit ist. Bei emotionaler Verbundenheit mit dem Erkrankten kann eine Spende auch außerhalb der Familie erfolgen. Allerdings sind - wie in Holland möglich - uneigennützige Spenden ohne Bezug zum Erkrankten bei uns nicht erlaubt.

Start der Radtour ist am Samstag, 3. Juni, um 10 Uhr an der »Blauen Kugel« am UKGM in Richtung Butzbach. Rückkehr ist für 14 Uhr auf dem Kirchenplatz geplant. 130 Anmeldungen gibt es bereits. »Bei 220 ist die Grenze«, so UKGM-Pressesprecherin Christine Bode.

Anmeldungen unter www.ukgm.de/radtour oder E-Mail an radtour.organspende@uk-gm.de. Alle Teilnehmer erhalten Trikots für die Radtour und werden verpflegt.

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