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Zeitreise mit Witz und Verzierung

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Von: Björn Gauges

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Asia Safikhanova, Soloflötistin des Philharmonischen Orchesters, sowie ihr Duopartner Vasily Antipow widmeten sich einem Barockprogramm. Foto: Gauges © Gauges

Gießen. Das scheint sich schnell unter den Musikfreunden herumgesprochen zu haben. Gestern ging die nach zwei Corona-Jahren wieder aufgelegte Reihe der Mittagskonzerte in die zweite Runde - und schon blieb kein einziger Stuhl mehr frei. Nicht einmal die zusätzlich herangeholten Sitzgelegenheiten reichten aus, um alle Besucher zu versorgen. Und so sah der Hermann-Levi-Saal so aus wie das Wiener Burgtheater, wo es im Rang schließlich auch noch immer ein paar Stehplätze gibt - zumindest ein bisschen.

»Wenn das so weitergeht, müssen wir anbauen«, freute sich Alexander Schmidt-Ries vom Philharmonischen Orchester über die enorme Resonanz.

Aber es ist eben auch eine ungemein charmante Idee des Ensembles, eine kostenlose halbe Konzertstunde anzubieten, die manch einem die Mittagspause versüßt und manch anderem den ersten Kontakt mit klassischer Musik ermöglicht - auf die denkbar einfachste und zugänglichste Art.

Diesmal stand das Thema Barock auf dem Programm, das Asia Safikhanova, seit September Soloflötistin des Gießener Orchesters, sowie ihr Duopartner Vasily Antipow an der Laute bestritten. Dazu wählte die gebürtige Moskauerin in ihrer sympathischen Moderation vier Stichworte, mit denen diese musikalische Epoche auf besondere Weise verbunden ist: Harmonie, Verzierung, Polyphonie und Improvisation. Zu jedem dieser Begriffe gab es ein Hörbeispiel - und zum standesgemäßen Einstieg natürlich ein Stück von einem der berühmtesten Barockkomponisten überhaupt: Georg Friedrich Händel (1685-1759).

Doch ein wichtiges Merkmal dieser populären Reihe sind die Werke, die von weit weniger bekannten und vor allem gespielten Komponisten stammen und im kleinen Format der Mittagskonzerte eine perfekte Bühne finden. Das Duo wählte dazu zunächst den Italiener Pietro Locatelli (1695-1764), einen zu Lebzeiten berühmten Violinisten, dessen »komplizierte Verzierungen« auf Notenblättern erhalten geblieben sind - und uns heute eine Idee davon geben, »wie die Melodien damals geschrieben waren«, wie die Flötistin erläuterte.

Um ihr Programm anschließend mit einem Musikerwitz und einem Blick auf den Kollegen fortzusetzen. Worin besteht die Arbeit eines Lautisten? Die eine Hälfte stimmt er sein Instrument. Die andere Hälfte spielt er seine verstimmte Laute. Was für viele Lacher sorgte - aber natürlich nicht für Vasily Antipow galt, der diese Behauptung mit seinem wunderbaren Solo einer Fantasie in C-Moll von Silvius Leopold Weiss (1687-1750) umgehend widerlegte.

Das schönste Stück sorgte dann für den Schlusspunkt dieses 30-minütigen Ausflugs in die Zeit des Barock: Eine Improvisation des mährisch-deutschen Kapellmeisters Gottfried Finger (1660-1730), zu der es auch die Erläuterung und ein Hörbeispiel gab, was es mit der dazugehörigen Basslinie - einem sogenannten Ground - auf sich hat. Es sind vier dauerhaft wiederkehrende Töne, die das Muster für dieses Stück abgeben.

Die Soloflötistin spielte dazu eine zarte, weiche Improvisation - bevor die Mittagspausen und musikalischen Zeitreisen zu Ende gingen und das Publikum den Saal wieder in Richtung Büro oder Wohnung verließ. Doch manch einer mag auch auf den Geschmack gekommen und dem Hinweis von Posaunist Alexander Schmidt-Ries gefolgt sein. »Gehen Sie doch einfach quer über den Berliner Platz und sichern Sie sich noch eine Karte für unser wunderbares Sinfoniekonzert an diesem Donnerstag im Stadttheater.«

Die Reihe der Mittagskonzerte wird am 21. März um 13 Uhr mit dem Programm »Artunedo & more« im Hermann-Levi-Saal fortgesetzt. Es spielen die Blechbläser des Philharmonischen Orchesters. Der Eintritt ist wie immer frei.

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