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»Zettel waren ausreichend groß«

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Verkehrswendeaktivisten demonstrieren vor der Verhandlung. Foto: Schwaeppe © Schwaeppe

Ein junger Bahn war mehrmals ohne gültigen Fahrausweis mit der Deutschen Bahn unterwegs. Das Amtsgericht Gießen stellte das Verfahren wegen Erschleichens von Leistungen nun aber ein.

Gießen. Weil er bei acht Fahrten im Fernverkehr der Deutschen Bahn ohne gültigen Fahrausweis angetroffen wurde, stand ein 26-Jähriger nun vor Gericht. Angeklagt war er nach Paragraph 265a, »Erschleichen von Leistungen«. Bei seinen Fahrten zwischen Februar und Juli 2021 trug der junge Mann wohl immer einen beschriebenen Zettel um den Hals, mit dem er öffentlich einsehbar auf sein Fahren ohne Fahrschein aufmerksam machte. Aufgrund dessen wurde das Verfahren am Amtsgericht Gießen knapp dreieinhalb Stunden und fünf Zeugenaussagen später eingestellt.

Die als Zeugen geladenen Bahnmitarbeiter sowie ein Bundespolizist bestätigten mehr oder minder erinnerungsfest, dass sie im fraglichen Zeitraum jemanden kontrolliert hatten, der einen solchen Zettel bei sich trug. Dass das Gericht unter Vorsitz von Birgit Ruppel zugunsten des Angeklagten entschied, hat auch eine Vorgeschichte. Die Gießener Gerichte hatten bereits in den vergangenen Jahren mit ähnlichen Prozessen zu tun. So sprach etwa im April 2016 die 3. kleine Strafkammer des Landgerichts Gießen einen bekannten »Umsonstfahrer« vom Vorwurf des Erschleichens von Leistungen frei. Auch er war deutlich gekennzeichnet ohne Ticket unterwegs. Der Angeklagte selbst war zuletzt im September 2021 am Amtsgericht geladen. Dort war die Verhandlung allerdings bereits vor Eröffnung der Hauptverhandlung eingestellt worden. Die »Aktionsschwarzfahrer« propagieren auf diese Weise den Nulltarif im Nahverkehr, um Mobilität auch für armutsbetroffene Menschen möglich zu machen.

Richterin Ruppel wies in der Begründung darauf hin, dass der 26-Jährige die Zettel »ausreichend groß« präsentiert habe. Die Deklaration sei offensichtlich gewesen - also keine Erschleichung.

»Ihre Auffassungen und Ziele sind bekannt und es gibt rechtspolitisch gute Gründe, warum diese Rechtsnorm in der heutigen Zeit verfehlt ist und man andere Vorgehensweisen braucht«, sagte sie noch an den Angeklagten gewandt. Aber die Richterin machte auch klar, dass die politische Debatte lieber woanders geführt werden sollte.

Im Zuschauerraum waren weitere Aktivisten anwesend, die vor der Verhandlung an der Treppe zum Amtsgericht demonstriert hatten.

Die Schadenshöhe, die bei den acht Fahrten von den jeweiligen Start- zu den Zielorten entstanden ist, beläuft sich übrigens auf knapp 300 Euro.

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