Zoll-Marathon gegen Schwarzarbeit am Bau
30 Festnahmen bei Razzia auf Großbaustelle für Logistik-Center im ehemaligen US-Depot - Millionenschäden für Sozialkassen und Fiskus.
Gießen . »Das ist ja wie im Kino.« Die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, die eigentlich den Zugang zu der Großbaustelle im ehemaligen US-Depot in Gießen bewachen sollen, staunten nicht schlecht, als ein Konvoi von 40 Fahrzeugen gestern um sieben Uhr morgen auf das Gelände fuhr. Stundenlang durchforsteten deren Besatzungen die gewaltigen Hallen des künftigen Logistikparks, damit ihnen niemand im Labyrinth der Hochregale und Betonsäulen durch die Lappen geht. Der zollinterne Spitzname der Kontrolleure, »Gerüstschüttler«, ist dabei natürlich nicht wörtlich zu nehmen.
Wer bereits überprüft wurde, erhielt ein kleines farbiges Bändchen ums Handgelenk und durfte dann wieder seiner Arbeit nachgehen.
80 Mitarbeiter des Hauptzollamtes Gießen kontrollierten mit Unterstützung der Landespolizei, des Regierungspräsidiums Gießen und später noch der Kreisausländerbehörde auf dem weitläufigen Areal 200 Personen und deren Arbeitsverhältnisse. Dass die bei rund 60 Firmen beschäftigt sind, zeigt wie komplex das Geflecht aus Subunternehmen und Subsubunternehmen ist, dass mittlerweile auf vielen Baustellen Standard ist und das leider auch viele schwarze Schafe zum Sozialbetrug und Schwarzarbeit einlädt.
29 Männer aus Bosnien und Serbien konnten gestern keinen für eine Arbeit in Deutschland gültigen Aufenthaltstitel vorlegen. Die Männer wurden festgenommen. Gegen sie wurde bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die weiteren Ermittlungen richten sich nun auch gegen deren Arbeitgeber, den eigentlichen Profiteuren der Schwarzarbeit. Und die hat größere Dimensionen als der Laie ahnt.
Jährlich rund 40 bis 50 Millionen an Schaden deckt im Schnitt allein das Hauptzollamt Gießen auf. In der Boomtown Frankfurt dürfte die Summe noch höher sein.
Unter Mindestlohn
Auch deshalb startete der Zoll am Dienstag eine bundesweite Schwerpunktaktion gegen Schwarzarbeit im Baugewerbe, ähnlich dem Blitzer-Marathon der Verkehrspolizei. Zwei weitere Zollkontrollen des Hauptzollamtes Gießen fanden auf Großbaustellen in Hünfeld bei Fulda und Kassel statt. Dort kam es zu neun Festnahmen. Insgesamt waren 140 Schwarzarbeitskontrolleure im Einsatz.
Im Fokus der Kontrollen standen dabei Verstöße gegen die Mindestlohnregelungen, illegale Beschäftigung sowie sogenannten Leistungsbetrug.
Der Zoll legt bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit besonderes Augenmerk auf das Baugewerbe. Immer wieder werden hier Verstöße in den unterschiedlichsten Manipulationsformen festgestellt.
Das Hauptzollamt Gießen ermittelte alleine im letzten Jahr, gegen mehrere Firmen der Baubranche, wegen Vorenthaltung von Sozialabgaben in Millionenhöhe. Auf der Gießener Baustelle etwa arbeiten Menschen zu einem Stundenlohn von zehn Euro, obwohl der eigentlich im Baugewerbe bei 15,50 liegt. Andere Unternehmen drücken diesen Lohn, indem sie die Bauarbeiter statt der vorgeschriebenen acht Stunden 14 bis 16 Stunden schuften lassen.
Auch wenn die gestern festgenommenen Schwarzarbeiter für den Zoll nur kleine Fische sind, denen juristisch weniger Ungemach droht als ihren Arbeitgebern, hat die Kontrolle auch für sie mitunter harte Konsequenzen. Wer zum Beispiel keinen gültigen Aufenthaltstitel vorweisen kann, wird in sein Herkunftsland abgeschoben und verliert damit seine Einnahmequelle.
Für die Kontrolle der Ausweispapiere hatte der Zoll extra zwei Dokumentenprüfer mitgebracht, die mittels Erfahrung technischer Hilfsgeräte, kontrollierten, ob die vorgelegten Dokumente echt oder gefälscht waren.
Während der Kontrollen gingen die Arbeiten auf dem alten Depotgelände weiter. Im Minutentakte rollten Kipplader und Betonmischer heran. »Wir sind ja keine Unmenschen, die den Bauherren unnötige Kosten verursachen wollen«, erklärte Zoll-Pressesprecher Michael Bender, »wenn der frische Beton angeliefert wird, darf er auch verbaut werden.
Hohe Schäden
Überrascht von den Dimensionen des Problems zeigte sich der CDU-Landtagsabgeordnete Frank Steinraths aus Wetzlar, der die Razzia begleitete. Für ihn sei es wichtig, solche kriminellen Strukturen, wie sie immer wieder bei Zollkontrollen aufgedeckt werden, zu zerschlagen. Die herrschende Gesetzeslage biete dafür ein ausreichendes Instrumentarium.
»Die Täter verursachen hohe Sozialversicherungs- und Steuerschäden und benachteiligen auch seriöse Mitbewerber durch unlautere Wettbewerbsvorteile. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, diese kriminellen Strukturen nachhaltig zu beeinträchtigen«, sagt auch die Leiterin des Hauptzollamtes Gießen, Uta Ruge.
Allein im Vorjahr haben die 300 Bediensteten der Behörde mit ihren vier Standorten Gießen, Kassel, Fulda und Bad Hersfeld mehr als 2000 Arbeitgeber überprüft und damit noch einmal rund 300 mehr als 2021. Flächenmäßig betreut das Hauptzollamt Gießen mit Nord-, Ost- und Mittelhessen den größten der hessischen Zollbezirke. Künftig dürfte das Arbeitsaufkommen freilich abnehmen. Materialmangel und die hohe Inflation dürften die zuletzt rege Bautätigkeit im Land bremsen, schätzt Stephanie Auerswald, Pressesprecherin beim Hauptzollamt Gießen.