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»Zuhören ist das Wichtigste«

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Arbeiten bei der Telefonseelsorge: Die Berliner Schriftstellerin Judith Kuckart war zu Gast beim LZG - und berichtete auch von den eigenen Erfahrungen.

Gießen. »Die ganzen gutgemeinten Ratschläge können Sie eigentlich vergessen.« Schriftstellerin Judith Kuckart weiß, wovon sie spricht. Sie selbst hat vier Jahre lang ehrenamtlich für eine Berliner Telefonseelsorge gearbeitet - und wurde dabei mit den unterschiedlichsten menschlichen Abgründen konfrontiert. Man brauche also gar nicht erst anfangen, etwa einer Ehefrau zu raten, doch ihren furchtbaren Mann zu verlassen. Die meisten Gegenüber würde das sowieso nicht interessieren. Was Kuckart zugleich bei dieser Arbeit gelernt hat: »Einfach zuhören. Das ist das Wichtigste.«

Ausbildung für sieben Menschen

Die 63-Jährige war am Mittwochabend zu Gast beim Literarischen Zentrum Gießen (LZG), um ihren aktuellen Roman »«Café der Unsichtbaren« vorzustellen. Darin geht es um sieben ganz unterschiedliche Menschen, die sich zum ehrenamtlichen Telefonseelsorger ausbilden lassen. Der Vo-yeurismus ihrer Leser wird in diesem Buch allerdings nicht bedient. Nächtliche Gespräche mit verzweifelten Anrufern etwa lassen sich darin nicht belauschen. Zum einen wegen der Verschwiegenheitspflicht, der sich die Autorin verpflichtet fühlt. Reale Begebenheiten sollten nicht in das Buch einfließen. Zum anderen war es ihr aus künstlerischen Gründen wichtiger, das Personal der Einrichtung in den Mittelpunkt zu rücken. Denn dort seien Sehnsüchte und Einsamkeit ebenso zuhause wie am anderen Ende der Leitung.

Die so vielseitige wie neugierige Judith Kuckart selbst, die auch erfolgreich als Tänzerin und Theaterregisseurin arbeitet, hat mit Anfang 50 zunächst den Plan gefasst, ein Theologiestudium zu beginnen. Doch das dafür notwendigen Lernen der Sprachen Altgriechisch und -hebräisch haben sie abgeschreckt. So empfahl ihr eine befreundete Pastorin, es doch einmal mit der Telefonseelsorge zu versuchen. Und so kam es. Nach einer Aufnahmeprüfung und anschließender Ausbildung hat sie vier Jahre für eine katholische Einrichtung gearbeitet - und ihre dabei gesammelten Erlebnisse in den Roman einfließen lassen. »Ich kann nur über das schreiben, was ich kenne«, sagt Kuckart. »Einen Roman über Sri Lanka etwa wäre mir nicht möglich.«

Formal umfasst ihr Buch fünf Tage eines Osterfestes, entsprechend ist das Buch in fünf Kapitel gegliedert. In zahlreichen Sprüngen und Rückblenden baut die Schriftstellerin dabei ein komplexes Gewebe und skizziert mehr oder weniger intensiv die Persönlichkeiten und Biografien der sieben im Mittelpunkt stehenden Figuren. Deren Schicksale spiegeln die Nöte derjenigen, die sich bei ihnen melden.

Moderatorin Christina Hohenemser vom LZG zeigte sich im Gespräch erstaunt, dass es »so gar kein Jammern in diesem Buch« gäbe, keine Tristesse vermittelt werde. Tatsächlich könne sie »ohne eine gewisse Leichtigkeit nicht von einem so schweren Thema erzählen«, entgegnet Kuckart.

Humor steckt also ebenso darin, wie eine gewisse Widersprüchlichkeit des Personals. Dazu zählen etwa eine schwierige junge Frau mit Ost-Sozialisation. Oder eine angehende Theologin mit dem Wunsch, dereinst mit Großfamilie in einem Pastorenhaus zu leben. Oder eine nicht immer sympathische Frau mit viel Lebenserfahrung, die zugleich als Ich-Erzählerin fungiert.

Sie alle werden im Laufe ihrer Arbeit mit existenziellen Dramen konfrontiert und lernen, wie damit umzugehen ist. Denn noch eins hat Judith Kuckart bei ihrer eigene Arbeit als Telefonseelsorgerin gelernt: »Sie müssen auch ein Gefühl dafür bekommen, wie man solch ein Gespräch beendet.«

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Judith Kuckart (links) im Gespräch mit Moderatorin Christina Hohenemser vom Literarischen Zentrum. Foto: Gauges © Gauges

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