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Von: Ingo Berghöfer

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Hochschulgruppen müssen ihre Plakate von der JLU genehmigen lassen und das wird auch so bleiben. Archivfoto: Schroth © Ingo Berghöfer

Die Justus-Liebig-Universität Gießen beschließt ein interdisziplinäres Studienangebot für »versierte Generalisten«

Gießen . Mit der durch die Bologna-Reformen erfolgten Verschulung des Studiums haben sich Europas Hochschulen vom klassischen humboldtschen Bildungsideal entfernt. Mit der Einführung des »JLU College of Liberal Arts & Sciences« will die Justus-Liebig-Universität (JLU) sich dem wieder nähern und eine attraktive Ausbildung für »versierte Generalisten« schaffen.

In seiner gestrigen Sitzung nahm der Senat einstimmig die Satzung für das neue Angebot an, dass im Wintersemester 2023/24 starten soll.

Mehr Spielraum

Das in den USA entwickelte Konzept ist für Studenten gedacht, denen ein Fachstudium zu wenig Spielraum bietet. Im Rahmen des College of Liberal Arts & Sciences sollen sie stattdessen anhand realer Problemstellungen flexibles und disziplinenübergreifendes Denken lernen und die so erworbenen Problemlösungsstrategien auf komplexe Fragen aus Wissenschaft und Praxis anwenden.

Während beim deutschen Vorreiter dieser Entwicklung, der Universität Freiburg, das neue »College« bei den Geisteswissenschaften angesiedelt wurde, geht man in Gießen einen anderen Weg und will Geistes- und Sozialwissenschaften mit Technik- und Naturwissenschaften kombinieren. Angesichts gesellschaftlicher Großthemen wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung oder Energiewende sei das auch beruflich eine erfolgversprechende Kombination.

Angesichts globaler Krisen und Herausforderungen wollten viele junge Menschen selbst etwas bewegen und einen eigenen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel leisten, heißt es in einer Pressemitteilung der JLU. Sie sähen ihre berufliche Zukunft möglicherweise in politischen Institutionen, NGOs, Wirtschaftsunternehmen oder im Kulturbetrieb. Dazu müssten sie breit aufgestellt sein.

Der neue Studiengang bietet eine große Flexibilität und kann von den Studenten abhängig von ihren Interessen mitgestalten werden. Nach einem Orientierungsjahr, in dem die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens gelegt werden und man schon einzelne Schwerpunktthemen kennenlernen kann, können die Teilnehmer ab dem dritten Semester ihren Interessen entsprechend aus einer Auswahl an Studienangeboten wählen. Die sind aber alle interdisziplinär ausgerichtet, widmen sich den großen Zukunftsthemen und weisen einen hohen Praxisanteil auf.

Während es etwa im Angebot »Formationen des Wissens« vorwiegend um Wissensgestaltung und -weitergabe in historischer und transkultureller Dimension, um Wissenschaft und Öffentlichkeit sowie um Wissenschaftsmanagement gehen wird, stehen im Angebot »Sustainable Development and Digital Transformation« Human- und Klimageographie, empirische Sozialforschung oder Daten- und Informationsvisualisierung sowie Programmierung im Vordergrund. Durch Praktika und Hospitanzen in regionalen Unternehmen oder in einer Partnerinstitution der JLU erhalten die Studenten zudem Einblicke in mögliche Betätigungsfelder.

Wer nach dem dritten Studienjahr erfolgreich einen Bachelor of Arts oder Bachelor of Science erworben hat, kann auch mit einem weiterführenden Master-Studiengang sein Studium fortsetzen.

Mit diesem Studienangebot wolle man gezielt auf die Wünsche von Studenten eingehen, denen Flexibilität, Vielseitigkeit und Kreativität wichtig seien und die zugleich am Studienbeginn Orientierung suchten, erklärte die Vizepräsidentin für Studium und Lehre, Prof. Katharina Lorenz.

Einmalige Chance

Starten will man im Wintersemester 2023/24 zunächst mit einer kleinen Teilnehmergruppe. Die erste Kohorte habe damit die einmalige Chance, die weitere Entwicklung dieses Studienangebots aktiv mitzugestalten, so Lorenz.

Die genaue Ausgestaltung des gestern beschlossenen Studienangebots wird derzeit noch in einer Arbeitsgruppe diskutiert. Wichtig sei aber, so Universitätspräsident Joybrato Mukherjee gestern im Senat, dass die fächerspezifischen Angebote und der neue interdisziplinäre Studiengang sich nicht »kannibalisieren«.

Keine Zustimmung fand die Forderung der Studentenvertreter im Senat, das Plakatieren auf dem Campus zu erleichtern und damit die studentische Meinungsbildung zu fördern. Zum einen wollte man einen Wegfall der Genehmigungspflicht für Aushänge studentischer Gruppen und zum anderen die Zuweisung fester Plakatflächen, auf denen studentische Plakate nicht mit kommerziellen Hinweisen überklebt werden dürften. Mukherjee erinnerte daran, dass die Genehmigungspflicht gerade deshalb eingeführt worden sei, weil früher studentische Gruppen die Plakate der politischen Konkurrenz überklebt hätten.

Eingangs der Sitzung hatte er unter anderem von einer Tagung der Hochschulleiter berichtet, in man der Politik noch einmal Digitalisierung, Deregulierung und Entbürokratisierung als wichtige Themen für die Legislaturperiode ins Stammbuch geschrieben habe. De facto nähme entgegen aller Beteuerungen die Regulierungsdichte immer weiter zu. Auch sei er erstmals seit der Corona-Pandemie wieder mit dem Gießener Magistrat zu einem persönlichen Austausch über die städtische Verkehrspolitik und den studentischen Wohnraum zusammengekommen. Zudem kündigte Mukherjee ein Gleichstellungskonzept an, dass die Parität der Geschlechter in den nächsten sieben Jahren auf allen Ebenen des Hochschulbetriebs anstrebt.

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