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Wirtschaftsweise Malmendier: KI bringt tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt

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Von: Thomas Schmidtutz

Prof. Ulrike Malmendier: Die Wirtschaftsweise spricht im Interview über künstliche Intelligenz, die Inflation und Handelsbeziehungen in die USA.
Ulrike Malmendier: Die Professorin an der US-Eliteuni Berkeley erwartet angesichts des rasanten Fortschritts bei Künstlicher Intelligenz (KI) einen tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt. © IMAGO/Stefan Boness/Ipon

Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier sieht angesichts der Entwicklung bei künstlicher Intelligenz ein neues Zeitalter anbrechen - mit weitreichenden Folgen auch für die Arbeitswelt.

München – Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier erwartet angesichts des rasanten Fortschritts bei Künstlicher Intelligenz (KI) einen tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt. Künftig würden „viele Jobs anders aussehen“, sagte Malmender gegenüber Merkur.de. Im Unterschied zu früheren Technologien werde KI auch vor Büro-Arbeitern nicht Halt machen. „Mit KI sind jetzt auch die Angestellten dran“, sagte das Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Die Professorin an der US-Eliteuniversität Berkeley warnte allerdings davor, sich der neuen Technologie zu verschließen. KI eröffne neue Wachstumsmöglichkeiten für die Wirtschaft. Sie hoffe „inständig, dass wir Deutschen auf diese Technologie aufspringen und die Chance ergreifen, statt wieder hinterherzuhecheln“, wie es bei der Automobilindustrie oder den erneuerbaren Energien passiert sei. Merkur.de sprach mit Malmendier über Inflation, die Gefahr eines möglichen Subventionswettlaufs mit den USA und die Frage, wie Chat GPT und andere Programme die Arbeitswelt künftig verändern könnten.

Frau Prof. Malmendier, die deutsche Wirtschaft ist zum Jahreswechsel 2022 leicht geschrumpft. Auch für das erste Quartal 2023 erwarten viele Volkswirte beim BIP ein kleines Minus. Damit wäre Deutschland in einer technischen Rezession. Wie angespannt ist die Lage für die deutsche Wirtschaft wirklich?

Der Sachverständigenrat war bei seiner Konjunktur-Prognose im November durchaus zurückhaltend. Damals haben wir für 2023 beim BIP ein leichtes Minus von 0,2 Prozent erwartet. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung galt dies vielen Beobachtern als vergleichsweise optimistisch. Aber bei unserer Einschätzung hat der hohe Auftragsbestand in der deutschen Industrie eine wichtige Rolle gespielt. Und bei den privaten Haushalten haben wir die während der Corona-Pandemie deutlich gestiegenen Spareinlagen als stabilisierenden Faktor gesehen. Das hat auch als Puffer gegen die zuletzt hohe Inflation gewirkt. Insgesamt kommt Deutschland damit bislang ganz gut durch den Abschwung. Von daher fühle ich mich mit dieser Prognose ganz wohl.

Und bei der Inflation? Da hatte der Sachverständigenrat für 2023 einen leichten Rückgang gegenüber dem Vorjahr auf 7,4 Prozent in Aussicht gestellt.

Sowohl die US-Notenbank als auch die EZB haben im Kampf gegen die Inflation einen harten Kurs eingeschlagen. Aktuell ist die Teuerungsrate in der Euro-Zone aber immer noch gut drei bis vier Mal so hoch wie der EZB-Zielwert von 2,0 Prozent. Und es gibt weiterhin einige Risiken, denken Sie nur an die radikale Kursänderung bei der Covid-Politik in China. Da könnte es durchaus wieder zu Störungen der Lieferketten kommen. Von daher würde ich bei der jüngsten Inflations-Prognose des Sachverständigenrats bleiben, vielleicht sogar mit einer Tendenz zu einer niedrigeren Teuerungsrate im laufenden Jahr, vorausgesetzt, alle machen ihre Hausaufgaben – auch die Notenbanken.

Die EZB arbeitet daran. Bei ihrer jüngsten Sitzung Anfang Februar hat die Notenbank die Leitzinsen um 50 Basispunkte angehoben und einen erneuten Zinsschritt um weitere 50 Basispunkte für den März in Aussicht gestellt. Viele Volkswirte hoffen darauf, dass die EZB ihre harte Gangart auch danach beibehält. Sie auch?

Der Preisauftrieb hat sich zuletzt etwas abgeschwächt. Dabei profitieren wir unter anderem von der Entwicklung auf den Energiemärkten. In Deutschland haben zudem die Dezemberhilfen beim jüngsten Rückgang der Teuerungsrate eine wichtige Rolle gespielt. Aber um die langfristigen Trends vorherzusagen, ist ohnehin der Blick auf die Kerninflation…

…also die Teuerungsrate ohne die schwankungsanfälligen Preise für Sprit und Lebensmittel…

…aussagekräftiger und die ist im Dezember weiter gestiegen. Von daher sind wir noch längst nicht über den Berg. Das hat auch die EZB deutlich gemacht. Umgekehrt können wir gut sechs Monate nach der Zinswende der EZB nun erste Effekte sehen und wir müssen gleichzeitig sehr aufmerksam beobachten, was auf der Angebotsseite passiert. Das gilt für die Lieferketten und die weitere konjunkturelle Entwicklung. Insofern halte ich den gemischten Ausblick der EZB für angemessen.

Viele Menschen in Deutschland sehen die Entwicklung am Wohnungsmarkt mit wachsender Sorge. Günstige Wohnungen sind kaum noch zu finden. Im vergangenen Jahr sind gerade noch 280.000 Neubau-Wohnungen fertiggestellt worden und damit deutlich weniger als die 400.000 Wohnungen, die Bundesregierung sich eigentlich vorgenommen hatte. Woran hapert‘s?

Ich habe mich mit der Frage, wie man Wohnungsbau und auch Eigentum selbst fördern kann, bislang vor allem in den USA auseinandergesetzt. Grundsätzlich sollten wir uns bei den Preisen auf dem Wohnungsmarkt zunächst einmal klarmachen: Es kann noch schlimmer kommen. Das zeigt beispielsweise die Lage in der Bay Area um San Francisco, wo viele große US-Tech-Konzerne ihren Sitz haben. Wir haben dort enorme Preissprünge gesehen. Das hat unter anderem dazu geführt, dass diese Entwicklung auf das Umland übergegriffen hat, weil die Menschen immer weiter pendeln - mit all den negativen Folgen für den Klimaschutz oder den Einschränkungen bei der Lebensqualität. Um die Lage zu verbessern, haben viele Unternehmen selbst Wohnraum geschaffen. Das höre ich in der Diskussion in Deutschland bisher nicht. Zudem nutzen viele US-Unternehmen auch nach Corona verstärkt die Möglichkeiten von Home-Office. Das eröffnet vielen Beschäftigten die Chance, auch von Standorten außerhalb der Ballungszentren zu arbeiten – mit günstigeren Preisniveaus. Das könnte auch ein Modell für Deutschland sein.

Prof. Malmendier (ganz rechts im Bild) bei der Übergabe des Jahresgutachtens des Sachverständigenrates für Wirtschaft an Bundeskanzler Olaf Scholz.
Prof. Malmendier (ganz rechts im Bild) bei der Übergabe des Jahresgutachtens des Sachverständigenrates für Wirtschaft an Bundeskanzler Olaf Scholz. © IMAGO/Frederic Kern

Bauministerin Klara Geywitz hat vor wenigen Tagen ein 750-Millionen-Euro schweres KfW-Förderprogramm mit zinsgünstigen Darlehen vorgestellt, um mehr Wohnungen zu schaffen. Außerdem plant sie ab Sommer ein Programm für junge Familien im Volumen von weiteren 350 Millionen. Können wir mit rund einer Milliarde Euro wirklich die Trendwende erreichen?

Die gegenwärtigen Summen werden sicher nicht reichen, um das Problem zu lösen. Aber noch mal: Politik und öffentliche Haushalte können in dieser Frage nicht die einzigen Player sein. Wir brauchen hier auch die private Wirtschaft – und mehr Initiative gerade von den großen Unternehmen.

Wie könnte ein solches Wohnungsbau-Modell von Unternehmen für ihre Mitarbeiter in der Praxis konkret aussehen?

Wenn die Unternehmen alleine die Initiative ergreifen, ist das wunderbar. Und das rechnet sich ja auch oft. Wenn man Talente etwa nach München holen will und dann zumindest für die Anfangszeit auch noch attraktive Wohnungen zur Verfügung stellt, kann das im Wettbewerb um Arbeitskräfte ein entscheidender Pluspunkt sein. Aber selbstverständlich können auch Public Private Partnerships, bei denen sich Firmen und der Staat zusammentun, ein Weg sein. Der Staat könnte im Gegenzug für eine Förderung von Wohnraum gewisse Anforderungen stellen, etwa hinsichtlich der Nachhaltigkeit, Energieeffizienz oder Isolierung. Und was das Thema Sozialwohnungen angeht, wo das Angebot drastisch zurückgegangen ist: In den USA werden Projekte stärker gefördert, bei denen ein bestimmter Prozentsatz an Wohnungen zu besonders niedrigen Preisen vermietet werden. Damit haben Sie dann am Ende gefragte, moderne Gebäude, aber eben auch mit Wohnungen zu deutlich niedrigeren Preisen.

Sie haben Ihren Lehrstuhl an der US-Eliteuni Berkeley in Kalifornien und damit in unmittelbarer Nähe zur US-Tech-Industrie. In den vergangenen Wochen hat das Thema Künstliche Intelligenz (KI) weltweit für Furore gesorgt. Auslöser ist das Programm ChatGPT. Es beantwortet selbst komplexe Fragen häufig verblüffend tiefgründig. Mit ein paar Stichpunkten kann die KI auch Witze, Gedichte oder ganze Texte wie Briefe oder wissenschaftliche Aufsätze verfassen – mit erstaunlicher Präzision. Machen Sie sich Sorgen um Ihren Arbeitsplatz an der Universität Berkeley?

Ich sage Kollegen oder Bekannten häufig im Scherz, mit KI wird gerade auch meine Industrie disrupted, also umgewälzt (lacht). Aber im Ernst: Ich glaube, dass es auch langfristig gewisse Bereiche geben wird, in denen menschliche Fähigkeiten der KI überlegen sind, denken Sie nur an Berufe, in denen Kreativität, Empathie oder Überzeugungskraft gefragt sind, oder die Fähigkeit, Informationen zu aggregieren und einzuordnen. Aber umgekehrt stimmt auch: Künftig werden viele Jobs wegen KI anders aussehen. Da werden wir uns umstellen müssen. Bei mir kann es zum Beispiel sein, dass ich die Examina anders gestalten muss, damit ChatGPT die Aufgaben nicht löst, sondern wirklich meine Studenten.

Microsoft-Chef Satya Nadella hat gerade das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz ausgerufen. Auch andere Beobachter sehen KI als ähnlich disruptive Technologie wie das Internet. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ja, mit KI könnte in der Tat ein neues Zeitalter anbrechen. KI kann die Menschen bei gewissen Arbeiten unterstützen, gerade beim Checken und Abhaken von bestehendem Wissen, etwa in der Medizin oder Labor-Technik, in der Chemie oder bei der Qualitätskontrolle in der Automobil-Industrie. Da können wir diese Technik nutzen und die frei werdenden Kapazitäten auf innovative Fragestellungen konzentrieren. Ich hoffe inständig, dass wir Deutschen auf diese Technologie aufspringen und die Chance ergreifen, statt wieder hinterherzuhecheln, wie es uns bei der Automobilindustrie oder den erneuerbaren Energien passiert ist.

In den vergangenen Jahren dominierte in der öffentlichen Diskussion bei vielen Beobachtern die Überzeugung, dass neue Technologien vor allem einfache Tätigkeiten ersetzen könnten. Angesichts der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz glauben viele Beobachter aber inzwischen, dass KI künftig auch Büro-Angestellten oder Wissensarbeiter treffen könnte. Sie auch?

Ja. Klar gibt es auch Arbeiter, die durch KI ersetzt werden könnten, etwa in der Qualitätskontrolle. Aber mit KI sind jetzt eben auch die Angestellten dran.

Was heißt das für die Beschäftigten?

Das bedeutet, dass jetzt auch in der breiten Bevölkerung klar werden muss: Künftig sind andere Fähigkeiten gefragt. Aber statt KI als Feindbild zu betrachten, sollten wir die Technologie begrüßen und intensiv darüber nachdenken, wie wir uns mit KI einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern sichern, zum Beispiel, indem wir KI früher einbauen - in unsere Entwicklungsabteilungen, Chemie-Labore oder die Industrie-Fertigung, für die Deutschland weltweit bekannt ist.

Deutschland leidet längst unter einem massiven Fachkräftemangel. Kann KI hier nicht womöglich sogar eine Entlastung bringen, vielleicht sogar einen Wachstumsimpuls?

Unbedingt. Deutschland hat einen akuten Fachkräftemangel. Das haben wir auch im aktuellen Jahresgutachten ausführlich diskutiert. Die Entwicklung wird künftig noch dadurch verschärft, dass andere Länder, die uns bisher Arbeitskräfte geschickt haben, inzwischen das gleiche demografische Problem haben. Wir brauchen in Deutschland eine Brutto-Einwanderung von einer Million Menschen, damit wir netto auf rund 400.000 zusätzliche Arbeitskräfte kommen. Meine Hoffnung ist, dass wir diese Lücke mit KI zumindest ein Stück weit schließen können – wenn wir in Deutschland offen für Einsatzmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz sind und KI als Chance begreifen.

Bei aller Euphorie über die neuen Möglichkeiten von KI gibt es auch Forderungen, KI zu regulieren. Wo sehen Sie Ansatzpunkte?

Wir stehen bei KI immer noch ganz am Anfang. Von daher ist es derzeit schwer, den möglichen Regulierungsbedarf abzuschätzen. Aber ganz grundsätzlich müssen wir eine Sache sicherstellen: Dass Menschen sich auch beim Einsatz von KI sicher fühlen können.

Wirtschaftsweise Malmendier warnt vor Subventionswettlauf mit den USA

In den USA ist zum Jahreswechsel der Inflation Reduction Act (IRA) zum Klimaschutz in Kraft getreten. Viele Unternehmen haben wegen der Förderung von insgesamt rund 370 Milliarden Dollar bereits angekündigt, ihre Investitionen in Deutschland oder Europa zu überdenken. Wie gefährlich ist der IRA für Europa?

Zunächst: Aus US-Sicht ist der IRA mit Blick auf den Klimaschutz sehr zu begrüßen. In der US-Geschichte ist der IRA eines der größten Gesetzesvorhaben, das jemals verabschiedet wurde. Ich habe große Hoffnungen, dass der IRA die Treibhausgasemissionen deutlich reduzieren wird, dass mehr Unternehmen und Unternehmer in erneuerbare Energien investieren oder die Automobilindustrie noch schneller auf E-Mobilität setzt. Und wenn das dann auch noch den Konsum und die Wirtschaft in den USA ankurbelt, profitieren wir auch in Deutschland und Europa davon.

Aber der IRA ist eben auch ein milliardenschweres Investitions- und Subventionsprogramm, mit der die US-Regierung knallhart die US-Industrie fördert.

Das ist so, aber auch nicht neu. Im Gegenteil: Die USA machen das schon seit Jahrzehnten so, und zwar unabhängig davon, ob die Republikaner oder die Demokraten den Präsidenten stellen. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Ich halte es für falsch, dass es die staatliche Förderung in den USA künftig nur noch gibt, wenn das Elektroauto in den USA zusammengebaut worden ist und die Rohstoffe für die Batterien zu mindestens 80 Prozent aus US-Produktion stammen. Natürlich sind derlei Subventionswettläufe hoffnungslos ineffizient und führen häufig zu schlimmen Wettbewerbsverzerrungen.

Aber sie locken eben auch Investitionen an?

Absolut. Mit dem IRA gibt es einen zusätzlichen Anreiz in den USA zu produzieren, zumal die Energie-Preise in Europa auch langfristig höher liegen dürften als in den USA. Da ist der IRA ein Risiko, vor allem, wenn Unternehmen ohnehin überlegen, ihre Produktion in die USA zu verlegen.

Brüssel kontert den IRA jetzt mit einem europäischen Gegenprogramm. Ist das der richtige Ansatz?

Da habe ich große Zweifel. Statt dem „Buy American“ jetzt eine „Buy European“-Politik entgegenzustellen, sollten wir ganz grundsätzlich nachdenken: In welchen Bereichen wollen wir in Europa künftig Vorreiter sein? Die USA haben sich gesagt: Bei der grünen Transformation der Wirtschaft hinken wir sehr weit hinter den Europäern her. Jetzt fördern wir innovative, grüne Technologien wie den grünen Wasserstoff, um die Nummer 1 zu werden. Oder nehmen Sie die Automobil-Industrie: Da haben die Amerikaner ganz nüchtern resümiert: Wir waren in diesem Bereich lange ein großer Player. Jetzt scheint die Zukunft das Elektroauto zu sein. Also wollen wir auch da wieder die Nummer 1 werden. Statt dagegen anzusubventionieren, sollte Europa kühl überlegen, in welchem Zukunftsmarkt wir langfristig an der Weltspitze sein können.

Wo könnte das sein?

Das könnte zum Beispiel bei KI sein, beim Thema Cold Fusion, also der kontrollierten Kernfusion, oder in der Elektro-Mobilität. Warum haben wir es als Autoland nicht geschafft, beim automatisiertem Fahren und E-Autos unsere Position an der Weltspitze zu verteidigen? Warum hat kein deutscher Hersteller versucht, mit den US-Tech-Riesen frühzeitig eine umfassende Allianz zu schließen und ihnen gesagt: Lasst uns zusammenarbeiten. Wir haben die besten Techniker, wir haben das beste Verständnis von Design. Macht es mit uns! Dann funktioniert das Ganze auch! Darüber sollten wir nachdenken - statt uns in Grabenkämpfe mit den USA um Subventionen zu begeben.

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